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Daphne – giftige Schönheit, griechische Pfeile und barocke Kunst

Zu Beginn eine Frage, die wohl kaum jemand auf Anhieb beantworten kann: Was hat ein Marmorstatuenpaar mit einem Giftstrauch gemeinsam? Nun, beginnen wir mit einer Jahreszeit: es ist Frühling. Ein betörender Duft liegt in der Luft. Verströmt wird er von den kleinen rosa bis purpurrot gefärbten Blütchen des Echten Seidelbastes. Jetzt kommt das Gift ins Spiel. Der Strauch aus der Gattung Seidelbast, die in der botanischen Bezeichnung auch den Namen Daphne trägt, ist nicht nur schön anzusehen, sondern auch hochgiftig. 30 Gramm der Rinde, die unter anderem Daphnetoxin enthält, genügen etwa schon, um ein Pferd zu töten.1 Die Bezeichnung Daphne rührt von der Ähnlichkeit der Blätter mit jenen des Lorbeers (altgriechisch Daphne) her und lädt ein, sich kurz mit der griechischen Mythologie zu beschäftigen: Daphne war eine Nymphe, Priesterin der Mutter Erde und wie Artemis eine jungfräuliche Jägerin. Über sie findet sich eine Geschichte im mythologischen Mammutwerk „Metamorphosen“ (15 Bücher, fast 12.000 Verse) des römischen Dichters Ovid, das einen enormen Einfluss auf die europäische Kulturgeschichte, von der Literatur über die bildende Kunst bis zur Musik hatte. 1598 wurde z.B. in Florenz die erste Oper aufgeführt, ihr Titel: „Dafne“.² Nun zum Inhalt von Ovids Verwandlungsgeschichte „Apollon und Daphne“:

Apollon, der Gott des Lichtes, der Weisheit und Weissagung, der Musik und Dichtkunst und auch Gott der Bogenschützen, hatte einst einen Drachen erlegt. Als er den Liebesgott Eros dessen Bogen spannen sah, erniedrigte er ihn, indem er meinte: Pfeil und Bogen gebührten nur seinen (Apollons) Schultern als Schmuck, der Knabe Eros solle sich nicht seine Ehrenzeichen anmaßen und besser mit seiner Fackel nach irgendwelchen Liebschaften forschen.

Apollon beleidigt Eros

Seinen Hochmut sollte Apollon bereuen. Eros strafte ihn mit unerfüllter Liebe, schoss einen scharfen, goldenen Pfeil auf ihn und entflammte damit Apollons Herz für die Nymphe Daphne. Daphne hingegen, die bereits den Wunsch hatte, zeitlebens jungfräulich zu bleiben und auf die Jagd zu gehen, wurde von Eros mit einem stumpfen Pfeil aus Blei getroffen, der die gegenteilige Wirkung hatte, und sie völlig unempfänglich für Apollons Liebe machte.

Apollon und Daphne

Die Nymphe floh vor dem glühenden Verehrer und bat schließlich ihren Vater, den Flussgott Peneios, ihre Gestalt zu verwandeln um sie nicht mehr begehrlich sein zu lassen.

Apollon erspäht Daphne

Und der Vater verwandelte sie in einen Lorbeerbaum.

Daphne verwandelt sich

Unerreichbar für Apollon erkor dieser daraufhin den Lorbeer zu seinem heiligen Baum und schmückte fortan sein Haar, seine Leier und seinen Köcher mit einem Lorbeer-Blätterkranz.

Vom giftig schönen Seidelbast über Ovids schicksalhafte Geschichte der Namensgeberin Daphne und ihres Verehrers Apollon kommen wir nun auf eine Bildhauerarbeit zu sprechen. Wir lassen die Zeit der Antike hinter uns und reisen ins 17. Jahrhundert, nach Italien, wo der Barock die Kunstszene beherrscht. In Rom greift der Bildhauer und Architekt Gian Lorenzo Bernini den antiken Götter-Stoff auf und schafft, assistiert von Giuliano Finelli, ein fantastisches Statuenpaar. Bernini hält bildhauerisch jenen Moment fest, in dem Daphne sich, bereits von Apollon eingeholt, in den Lorbeerbaum zu verwandeln beginnt.3 Apollons Hand, mit der er bereits ihre Hüfte ergriffen hat, bekommt bereits nur mehr Rinde zu fassen. Beide Charaktere scheinen in voller Bewegung in Stein gemeißelt, theatralisch inszeniert durch ihren gefühlvollen Ausdruck und ihre Körperspannung – ein barockes Meisterwerk.

Daphne und Apollon: Die Zeit des Barock ist vergangen, viele Kunstwerke haben sich aber erhalten und sind heute ein Fest für unsere Augen. Ovids Körper ist längst zerfallen, seine Geschichte der schönen Nymphe und ihres göttlichen Verehrers lässt jedoch auch in unseren Tagen die Phantasie blühen. Einzig die Blüten des Seidelbastes wachsen jeden Frühling wieder völlig neu. Wer an ihnen vorübergeht und ihren Duft vernimmt, der mag sich denken, so schön und gleichzeitig auch so giftig, und vielleicht schweifen seine Gedanken auch zu griechischen Pfeilen und zu barocker Kunst, zu Ovid und Bernini und zu den Lorbeeren, die sie geerntet haben.

(1) http://www.botanikus.de/Beeren/Seidelbast/seidelbast.html (eingesehen am 29.06.2016)
(2) Holzberg, Niklas: Ovids Metamorphosen (C.H. Beck Wissen Nr. 2421), München 2007, S. 119.
(3) Petersson, Robert T.: Bernini and the Excess of Art, Florence 2002, S. 80–82.


Zwei zu empfehlende Seiten:

Englischsprachiger Youtube-Kanal: „Smarthistory. art, history, conversation“, darunter eine Folge zum barocken Statuenpaar mit Angabe des Entstehungszeitraumes: „Bernini, Apollo and Daphne, 1622-25“:
https://www.youtube.com/watch?v=e3RSRrUL1Os

Auf der Internetseite des Bayrischen Rundfunks finden Sie unter dem Bildungskanal ARD-alpha eine sehr sehenswerte Doku-Reihe mit dem Titel „Stil-Epochen“. Darunter auch: „Prachtentfaltung im Barock und Rokoko“:
http://www.br.de/fernsehen/ard-alpha/sendungen/stil-epochen/stil-epochen-rokoko120.html

Auf dem Youtube-Kanal: „uni auditorium – wissen online“, referieren Uni-Professoren über verschiedenste Fachgebiete, unter anderen Prof. Dr. Niklas Holzberg, Professor für Klassische Philologie am Department IV der Ludwig-Maximilians-Universität, München. Unter folgendem Link finden sie eine Folge über den Dichter Ovid:
https://www.youtube.com/watch?v=LBMRuQlggIg


Tipp: Übung zum Hervorheben von Schlüsselbegriffen mit Textmarkern: Schlüsselwörter sind im Text hervorgehoben. Für den Unterricht oder für den Selbstversuch kann der Text evtl. digital kopiert, von den Hervorhebungen befreit und ausgedruckt werden. Der Comic findet sich auch in DIN-A4-Format unter der Rubrik „Kunst und Kultur“ unter dem Artikel: Comic – Apollon und Daphne.




Karoline von Günderrode – Romantik, Erfolg und Grenzen

Karoline von Günderrode

Zeichnung, frei nach einem anonymen Porträt um 1800.

Heute vor 236 Jahren, am 11. Februar 1780, wurde in Karlsruhe, im bürgerlichen Haus eines Regierungsrates, die deutsche Schriftstellerin und Dichterin Karoline von Günderrode geboren. Sie sollte eine bedeutende Vertreterin der Romantik werden, gleichzeitig aber auch zeitlebens unter den Grenzen leiden, welche die patriarchale Welt einer Frau, wenn auch gebildet und aus guten Hause, damals setzte. Um ernst genommen und auch um nicht verspottet zu werden veröffentlichten Frauen Gedichte und Aufsätze meist unter Pseudonymen. Karoline verwendete den Namen „Tian“. Als sie sechs Jahre alt ist, stirbt ihr Vater und mit 17 Jahren kommt sie in ein Damenstift für unverheiratete und verwitwete adelige Frauen nach Frankfurt am Main. Die Notwendigkeit einer solchen Institution spiegelt ebenfalls die weibliche Stellung in der Gesellschaft wieder. Ehe, Hausfrau und Mutter; Haushalt und dessen Repräsentanz, dies war die Rolle, die einer Frau von Karolines Stand zugedacht war. Doch ihr wacher Geist erkannte, dass es jenseits dieses Horizontes noch andere Ländereien gab. Karoline beschäftigte sich mit antiker und nordischer Mythologie, bewegte sich im Spannungsfeld zwischen Aufklärung und Naturerfahrung1 . In einem Brief an Gunda (Clemens Brentanos Schwester) beklagte sie den Mangel an tiefgreifendem Wissen: „Überhaupt ist mir ganz unbegreiflich, dass wir kein anderes Bewusstsein haben als Wahrnehmung von Wirkungen, nirgends von Ursachen.“² Günderrodes Leben war geprägt von der Vorstellung eines Lebens in Authentizität, jenseits der gesellschaftlichen Norm, abseits von Bürgerlichkeit, völlig dem Künstlertum gewidmet. Eine Neigung das Leben maßlos emotional zu führen. In ihren Gedichten finden sich heftige Leidenschaften, Aufwallungen und Anfälle tiefster Verzweiflung.3  Ebenfalls in einem Brief an Gunda:

„Schon oft hatte ich den unweiblichen Wunsch, mich in ein wildes Schlachtgetümmel zu werfen, zu sterben. Warum ward ich kein Mann! Ich habe keinen Sinn für weibliche Tugenden, für Weiberglückseeligkeit. Nur das wilde Große, Glänzende gefällt mir. Es ist ein unseliges aber unverbesserliches Mißverhältnis in meiner Seele…denn ich bin ein Weib und habe Begierden wie ein Mann, ohne Männerkraft. Darum bin ich so wechselnd, und so uneins mit mir.“

Der Leser kann erkennen, dass diese Zeilen im Grunde die Sehnsucht nach persönlicher Freiheit ausdrücken. Eine Freiheit die um 1800 nur den Männern zusteht. Auch die französische Revolution, deren Ideen sie begeisterten sollte daran wenig ändern. Das Bild das sie zeichnet lässt eine Assoziation zu Eichendorffs Gedicht „Das zerbrochene Ringlein“ zu:

„Ich möcht’ als Reiter fliegen
Wohl in die blut’ge Schlacht,
Um stille Feuer liegen
Im Feld bei dunkler Nacht.“

Karoline von Günderrode hatte ein bewegtes Leben. Darin tauchen Namen wie Achim von Arnim, Clemens und Bettina Brentano und Goethe auf. Ihre Dichtung zeigt auch typische Motive und Inhalte der Klassik, die Antike galt ihr jedoch viel mehr als Traumwelt, denn als Beispiel. So emotional sie gelebt hatte so tragisch war auch ihr Tod. Tief getroffen durch eine letztendlich unerfüllte Liebe, erdolchte sich die Dichterin am 26. Juli 1806 in Winkel am Rhein mit einem Stich ins Herz. Tags darauf fand man sie im Wasser liegend.

Selbstmord Günderrode

Zum Abschluss noch eines ihrer Gedichte. Kann man zwischen den Zeilen auch die eingeschränkte Rolle der Frau um 1800 erkennen?

Der Luftschiffer

„Gefahren bin ich im schwankenden Kahne
Auf dem blaulichen Ozeane,
Der die leuchtenden Sterne umfließt,
Habe die himmlischen Mächte begrüßt.
War in ihrer Betrachtung versunken,
Habe den ewigen Äther getrunken,
Habe dem Irdischen ganz mich entwandt,
Droben die Schriften der Sterne erkannt
Und in ihrem Kreisen und Drehen
Bildlich den heiligen Rhythmus gesehen,
Der gewaltig auch jeglichen Klang
Reißt zu des Wohllauts wogendem Drang.
Aber ach! es ziehet mich hernieder,
Nebel überschleiert meinen Blick,
Und der Erde Grenzen seh ich wieder,
Wolken treiben mich zurück.
Wehe! das Gesetzt der Schwere
Es behauptet nur sein Recht,
Keiner darf sich ihm entziehen
Von dem irdischen Geschlecht.“

Wer mehr über Karoline von Günderrode bewegtes Leben wissen möchte:

Lesenswerter Artikel von Katja Behrens (zuletzt aufgerufen: 11.02.2016)

Sendung „Lyrik für Alle“ von Lutz Görner (zuletzt aufgerufen: 11.02.2016)

Quellen:

(1) Waltraud Schade: Bettine Brentano und Karoline von Günderrode. Ein Gespräch, Berlin 2006, S. 13-18.

(2) Ebd. S. 19.

(3) Monika Werner-Schoene/Dieter Schoene: Karoline von Günderrode. Eine tragische Idealistin, in: Elke Pilz (Hrsg.): Bedeutende Frauen des 18. Jahrhunderts. Elf biographische Essays, Würzburg 2007, S. 173-188, hier S. 182-186.




Der Einfall – Comic zu den vier Fällen

Comic zu den 4 Fällen

Dieser Comic soll es den Lernenden erleichtern, sich die Bezeichnungen und die Reihenfolge der vier Fälle im Deutschen zu merken.

Im Unterricht kann der Comic dann auch zum Üben der Fallsetzung verwendet werden (z.B. Sprechblasentexte erfinden). Ferner kann auch im Sinne des vernetzenden Lernens die literarische Form der Kurzgeschichte thematisiert werden. Anmerkung: Norbert besorgt für Gerda einen zusätzlichen Reserve-Akku und: Ohne seinen Charme würde Norbert natürlich auch sein Akku wenig nützen.